Prof. Dr. Dr. Horst-Eberhard Richter

IPPNW zum Jugoslawienkrieg

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

seit dem Schweigen der Waffen im Jugoslawien-Krieg ist genügend Zeit vergangen, um Bilanz zu ziehen und unsere Reaktion in der IPPNW zu überprüfen. Es gab und es gibt auch in unseren Reihen Zweifel, ob wir recht damit hatten, gegen diesen Krieg zu protestieren, der erstmalig unter deutscher Mitbeteiligung gefährt wurde. Aber der Vorstand bekam auch heftige Kritik von Mitgliedern zu hören, die sich energischere Widerstandsaktionen gewünscht hätten. Vielleicht verhilft uns der Abstand zu den Ereignissen, uns besser als in der aktuellen Aufregung zu verständigen. Jedenfalls ist die Kernfrage unseres Engagements berührt, das ist nun mal der Krieg im Atomzeitalter. Und wenn wir in dieser Frage nicht mit einer klaren Identität in der Öffentlichkeit hervortreten, wird man uns bald nicht mehr ernst nehmen. Wir haben uns als eine ärztliche Friedensbewegung gegründet. Dafür haben wir den Friedensnobelpreis bekommen. Wenn wir zu diesem Thema unsere Entschlusskraft und Eindeutigkeit verlieren, können wir einpacken.

Mit der folgenden Analyse möchte ich die Proteste rechtfertigen, die von uns gegen den Krieg öffentlich vorgebracht worden sind.

 

1. In 79 Kriegstagen haben 32.000 Luftangriffe nach vorläufiger Feststellung 200 Fabriken, 190 Schulen, 50 Spitäler, 50 Brücken, 5 Zivilflughäfen sowie ungezählte Agrarbetriebe und Wohnhäuser in Serbien im Wert von mindestens 30 Milliarden Dollar vernichtet. Hunderte von Zivilisten wurden getötet. Das Versorgungssystem Serbiens wurde ruiniert.

2. Die serbische Militärmacht wurde nicht nur nicht besiegt, sondern blieb fast intakt. Vor den internationalen Beobachtern zogen sich nach Kriegsende 47.000 serbische Soldaten, 250 Kampfpanzer, 450 Panzerwagen und 800 Artillerie-Systeme aus dem Kosovo zurück - Zahlen, die es nach den Nato-Erfolgsmeldungen gar nicht hätte geben dürfen. Dass die Serben mehr als 26 Panzer, deren Wracks man gefunden hat, verloren haben, bezweifeln unabhängige Beobachter. Also ist der Krieg nicht etwa durch die Ausschaltung des serbischen Militärpotentials, sondern durch den Angriff auf die materiellen Lebensgrundlagen der serbischen Zivilbevölkerung beendet worden.

3. Eine ethnische Säuberung ist nur durch eine andere ersetzt worden. Die Kosovo-Albaner konnten zurückkehren. Dafür haben sie schon etwa 180.000 Serben und zehntausende anderer Volksgruppen aus dem Kosovo vertrieben. Serbien ist heute das größte Flüchtlingslager Europas, nachdem die Kroaten etwa 200.000 von ihnen (unter Natoschutz und zum Teil mit deutschen Waffen) aus der Krajina vertrieben haben und etwa 30.000 aus Ostslawonien und der Gegend Sarajewos geflohen sind.

4. Der Krieg der Nato wurde zum Teil mit unverantwortbaren Waffen geführt - mit Streubomben und mit uranhal tiger Munition, deren nachhaltige gesundheitsschädigende Wirkung bereits nach dem Golfkrieg festgestellt wurde.

5. Der Krieg hat an den Rand einer großen internationalen Katastrophe geführt, wie die amerikanische Zeitschrift ,,Newsweek" aufgedeckt hat. Mit Panzern und Luftangriffen wollte Nato-Oberbefehlshaber General Clark die 200 Russen attackieren, die handstreichartig den Flughafen von Pristina besetzt hatten. Hubschrauber und Bodentruppen waren in Mazedonien bereits startbereit, und der britische Chef der Kfor- Verbände General Jackson hatte den Einsatzbefehl in der Hand. Aber dieser weigerte sich. Er sah die Gefahr, dass die Atommacht Russland nach den vorausgegangenen Demütigungen diese Provokation nicht hinnehmen würde. Clark wurde wütend. Laut Newsweek sprach General Jackson den denkwürdigen Satz: ,,Ich werde für Sie nicht den Dritten Weltkrieg anfangen!" Nachträglich wurde Clark von Washington zurückgepfiffen. Niemand weiß, was ohne die mutige Befehlsverweigerung Generals Jacksons geschehen wäre. Aber Sachkenner meinen, es sei vielleicht die brisanteste Risiko-Situation seit dem Kalten Krieg gewesen.

6. Nach übereinstimmender Einschätzung maßgeblicher Friedensforschungs-Institute ist der Frieden in der Region heute weiter entfernt als vor Rambouillet.

7. Die Konsequenzen des Völkerrechtsbruchs und der Verletzung der UNO-Charta sind schon jetzt klar erkennbar. Der Krieg, der an der UNO vorbeigeführt wurde, bedeutete eine klare Ermutigung für andere zu ähnlichen Eigenmächtigkeiten. So findet Russland mit seinem Uberfall auf Tschetschenien in der internationalen Gemeinschaft nur symbolischen Widerstand. Es rächt sich bitter, dass der einst im Dienste der Ziele der Friedensbewegung etablierten UNO die gebührende Autorität entzogen worden ist.

8. Bedingung für die Führbarkeit des Natokrieges war eine psychologische Kampagne, deren Suggestion viele erlegen sind. Seit 1992 hatte die amerikanische PR-Agentur Ruder Finn einen kostenintensiven Werbefeldzug gegen die Serben geführt. U.a. mit weltweit ausgestrahlten TV-Spots hatte sie die Serben mit den Nazis gleichgesetzt. Dabei habe sie, wie der Agenturchef James Harff wörtlich im französischen Fernsehen prahlte, auch eir'flussreiche jüdische Organisationen in den USA ,,überlistet"! Es sei gelungen, Begriffe wie ,,ethnische Säuberung" und ,,Auschwitz" im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. ,,Die emotionale Aufladung war so mächtig" brüstete sieh der Agenturleiter, ,,dass niemand zu widersprechen wagte, um nicht eines Revisionismus bezichtigt zu werden. Wir hatten ins Schwarze getroffen."

Unbestreitbar ist Milosevic ein skrupelloser militanter Nationalist, der für schwere Verbrechen verantwortlich ist. Aber die Propaganda hatte ihn zu einem neuen Hitler gemacht, die Serben zu den neuen Nazis und das Kosovo zum möglichen neuen Auschwitz. Genau nach dem Rezept von Ruder Finn. Das konnte von den Deutschen so verstanden werden, dass sie im Krieg gegen Milosevic vielleicht nachholen könnten, was sie gegen Hitler versäumt hatten. Mitschießen im Kosovo gewissenmaßen als moralische Rehabilitation? Diese Berufung auf Auschwitz haben jüdische Überlebende des Holocaust in einer ganzseitigen Anzeige in der Frankfurter Rundschau als neue ,,Auschwitz-Lüge" angeprangert. Außenminister Fischer hatte 1994 noch höchstpersönlich gemeint: ,,Wo deutsche Soldaten im Zweiten Weltkrieg gewütet haben, darf es keine Einsätze geben. Ich wäre froh, wenn die, die das wollen, sich nicht wenigstens andauernd hinter der Humanität verstecken würden, um eben diese Position durchzusetzen". Jetzt ist er es also, der mit den Hitlerverbrechen genau andersherum argumentiert.

 

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