Irreführung der Öffentlichkeit

 

V O N   E C K A R T   S P O O

 

Der Krieg gegen Jugoslawien, den die deutsche Bundesregierung eine humanitäre Intervention nannte, wurde als Krieg für die Menschenrechte ausgegeben. Krieg führen, Menschen töten um der Menschenrechte willen – das war schon eine Zumutung an die Vernunft und die Moral. Ausgerechnet Jugoslawien, das in diesem Jahrhundert schon zweimal Opfer deutscher Angriffskriege gewesen war, sollte sich ausgerechnet von Deutschland Menschenrechte militärisch beibringen lassen – ausgerechnet von Deutschland, dessen regierendes Personal Menschenrechte wie das auf Asyl oder das Recht der Freizügigkeit immer weniger respektiert.

Ein grundlegendes Menschenrecht ist das Recht der Informationsfreiheit, der Meinungsfreiheit, der Pressefreiheit, wie es in Deutschland in Artikel 5 des Grundgesetzes deklariert und garantiert ist. Für eine Gesellschaft, die sich als demokratisch versteht, ist dieses Menschenrecht – um auf eine Formulierung des Bundesverfassungsgerichts zurückzugreifen – schlechthin konstitutiv. Wir können nicht demokratisch mitreden, mitentscheiden, mitverantworten, wenn wir desinformiert sind.

Ich klage die NATO und besonders die auf das Grundgesetz vereidigte Regierung der Bundesrepublik Deutschland an, die Öffentlichkeit systematisch irregeführt, uns die Wahrheit über Kriegsgründe, Kriegsziele, den Kriegsgegner, den Kriegsverlauf, Kriegsschäden, Kriegsopfer, Kriegskosten, Kriegsergebnisse vorenthalten, uns statt dessen dreist belogen zu haben. Dieser Mißbrauch politischer Macht hat unser Grundrecht auf Information verletzt und das Fundament der Demokratie beschädigt.

Ohne Irreführung der Öffentlichkeit, ohne Lügenpropaganda wäre es nicht möglich gewesen, diesen völkerrechtswidrigen Krieg zu führen. Nachdem die Kriegspläne spätestens im Oktober 1998 fertiggestellt waren, folgte eine monatelange Desinformationskampagne, um Widerstände friedliebender Menschen zu paralysieren. Dazu gehörte eine permanente Diffamierung der Bundesrepublik Jugoslawien, eine Dämonisierung, ja Verteufelung ihres Präsidenten Slobodan Milosevic, eine nationalistische Hetze gegen die Serben, die als blutgierige Wilde, als Barbaren dargestellt wurden wie einst in Zeiten des Kolonialismus afrikanische Völker, die unterworfen werden sollten. Milosevic erhielt die Bezeichnung "der Diktator". Der laut Grundgesetz für Verteidigung zuständige Minister, der nun entgegen seinem Auftrag und seiner Amtsbezeichnung einen Angriffskrieg zu rechtfertigen trachtete, Rudolf Scharping, titulierte Milosevic als Mörder, warf ihm Völkermord vor, und zum Völkermörder stempelte ihn prompt auch die "Bild"-Zeitung, verläßliches Organ der Kriegspropaganda. In riesigen Buchstaben auf der Titelseite nannte sie ihn zudem einfach und eingängig den Schlächter.

Rechtzeitig vor Beginn der Bombardements inszenierte Scharping einen Besuch mit Bundeswehrsoldaten in Auschwitz. Trotz des scharfen Protests von Auschwitz-Überlebenden, die sich gegen die Instrumentalisierung der Shoa wandten, zogen er und viele weitere Kriegspropagandisten Parallelen zwischen Kosovo und Auschwitz, wobei Milosevic zum neuen Hitler wurde. Die Behauptung, die Serben richteten im Kosovo einen Völkermord an, illustrierten sie mit frei erfundenen Greuelgeschichten. Das Stadion von Pristina diente angeblich als KZ. Von Menschen im Blutrausch, die mit abgeschnittenen Köpfen Fußball spielen, sprach Scharping, von einer serbischen Soldateska, die schwangeren Frauen den Fötus aus dem Leib geschnitten habe. Schlimmer noch: Die Föten seien geröstet und anschließend wieder eingenäht worden. Je schlimmer, desto besser für die Rechtfertigung des Angriffskriegs.

Das Gegenbild der bösen Serben waren die guten Kosovo-Albaner, die in der offiziellen Kriegspropaganda auch kurz als die Kosovaren bezeichnet wurden, womit man suggerierte, Serben wie auch Roma (von denen überhaupt nicht die Rede war, obwohl sie immerhin um die zehn Prozent der Bevölkerung des Kosovo ausmachten) gehörten eigentlich gar nicht dorthin. So bereitete man sprachlich die Vertreibung, die ethnische Säuberung zugunsten der UCK vor, die den Kosovo für sich allein beanspruchte.

Manche Journalisten in deutschen Radio- oder Zeitungsredaktionen mögen das Feindbild "die Serben" naiv übernommen und weitertransportiert haben – auch manche Bundestagsabgeordnete, die blind den Darstellungen der NATO und der Bundesregierung vertrauten. Der Bundesregierung aber war die tatsächliche Lage im Kosovo im Winter 1998/99 bekannt. Ihr Vertreter bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die aufgrund des Holbrooke/Milosevic-Abkommens vom Oktober 1998 Bürgerkriegsgewalt im Kosovo unterbinden sollte, Bundeswehrgeneral Heinz Loquai, machte die Erfahrung, daß sich die jugoslawische Seite an das Abkommen hielt, nicht aber die UCK. Auch der Präsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, Willy Wimmer (CDU), übermittelte realistische Angaben. Die OSZE erwies sich, obwohl ihre Einheiten bei weitem nicht die mit Milosevic vereinbarte Stärke erreichten und obwohl sie unter dem Kommando eines als Scharfmacher und Provokateur berüchtigten US-amerikanischen Generals stand, als geeignetes Instrument gegen Gewalt. Dennoch behauptete die Bundesregierung dann, es gebe keine Alternative zu den Bombardements. Eine Lüge.

Als Falschbeweis für die Notwendigkeit des Bombenkriegs diente dann auch die angebliche Weigerung Jugoslawiens, bei den Verhandlungen in Rambouillet nachzugeben. Die NATO und namentlich die an den Verhandlungen beteiligte Bundesregierung täuschten die Öffentlichkeit, indem sie darüber schwiegen, wie weitreichende Zugeständnisse Belgrad um des Friedens willen machte. Sie verheimlichten auch, welche unannehmbare Forderung die NATO an Jugoslawien gestellt hatte, nämlich Zugang für NATO-Truppen nicht nur im Kosovo, sondern in ganz Jugoslawien. Wir sollten glauben, Bemühungen um eine friedliche Lösung seien an Milosevic, dem Völkermörder, dem neuen Hitler, gescheitert und darum gebe es nun wirklich keine Alternative mehr zur Gewalt von außen. Eine krasse Lüge.

Ein angebliches serbisches Massaker an albanischen Zivilisten in Racak – bis heute nicht genau aufgeklärt (der Bericht der finnischen Untersuchungskommission blieb unveröffentlicht, aber nach Äußerungen von Kommissionsmitgliedern ist jedenfalls klar, daß in Racak nicht das geschehen war, was Scharping und die NATO behaupteten) – diente dann der letzen Einstimmung auf den Bombenkrieg. Die Verantwortung für die Luftschläge liegt allein bei Milosevic, sagte Scharping. Also: Der Angegriffene war schuld, nicht der Angreifer.

Trotz aller Irreführung und Verdummung der eigenen Bevölkerung wagten es die NATO und speziell die deutsche Bundesregierung auch Ende März noch nicht, sich offen zum Krieg, zu dem von ihnen vorbereiteten Angriffskrieg, zu bekennen. Immer neue Sprachregelungen dienten der Verschleierung des Verbrechens. Am Tag, als die ersten Bomben und Raketen gegen Jugoslawien abgeschossen wurden, sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder: "Wir führen keinen Krieg!"

Das Vertrauen auf Politiker-Worte ist in Deutschland nicht groß. Die Krise der Glaubwürdigkeit von Politikern ist schon seit Jahren sprichwörtlich geworden. Darin mag es begründet sein, daß vielen Deutschen die grotesken Widersprüche in den offiziellen Äußerungen gar nicht auffielen. Es war ein und dieselbe Bundesregierung, die – beispielsweise – einerseits (noch bis zum 24. März) den zuständigen Behörden und Gerichten mitteilte, es gebe keine Verfolgung durch die serbisch dominierte Staatsmacht wegen Volkszugehörigkeit der Kosovo-Albaner, und andererseits die Situation der Albaner im Kosovo so darstellte, als müßten diese Menschen unverzüglich mit militärischen Mitteln vor dem Völkermord geschützt werden, der dort im Gange sei. Was als Asylgrund angeblich nicht ausreichte und nicht einmal als Grund zur Duldung von Flüchtlingen, das galt nun als zwingender Kriegsgrund. Wie können Politiker, die uns solche dreisten Widersprüche zumuten, noch erwarten, daß denkende, nachdenkliche Bürgerinnen und Bürger ihren Worten glauben?

Die NATO kämpfte nun – soweit man das Abwerfen von Bomben aus sicherer Höhe als Kampf verstehen mag – angeblich mit dem Ziel, albanische Flüchtlinge und/oder Vertriebene aus dem Kosovo in ihre Häuser zurückzubringen. Aber zu Beginn des Bombenkriegs lebten die meisten Menschen, die dann zu Flüchtlingen oder Vertriebenen wurden, noch in ihren Häusern. Wenn die Verhinderung ethnischer Säuberungen wirklich Kriegsziel der NATO gewesen wäre, dann müßte man diesen Krieg als krassen Mißerfolg werten. Die NATO-Aggression fachte ethnische Konflikte an und löste starke Fluchtbewegungen aus (nicht nur nach Albanien und Mazedonien, wovon die Öffentlichkeit viel zu hören bekam, sondern auch ins zentrale Jugoslawien, wovon sie nichts erfuhr). Sie führte zu ethnischen Säuberungen (ein Wort, das ich mit äußerstem Widerwillen zitiere), gewaltsamen Vertreibungen, die bis heute anhalten.

Generell läßt sich festhalten: Die offizielle Propaganda verdrehte die Tatsachen in ihr Gegenteil. Und den Lügen, die zur Einstimmung in den Krieg gedacht waren, folgten während des Krieges täglich neue Lügen, z. B. Ende März die NATO-Lüge über die Hinrichtung kosovoalbanischer Intellektueller wie des Rambouillet-Unterhändlers Fetim Agani und des Zeitungsverlegers Baton Hexhim.

Durch den ganzen 78tägigen Bombenkrieg zog sich die Lüge, die sogenannten Luftschläge richteten sich nur gegen militärische Ziele; wenn doch einmal zivile Einrichtungen und Zivilpersonen getroffen würden, seien das unbeabsichtigte, unvermeidliche, bedauerliche Kollateralschäden. In Wahrheit richteten sich die Bombardements weit überwiegend gegen zivile Ziele. Das jugoslawische Militär erlitt verhältnismäßig geringe Verluste, aber die NATO zerstörte u. a. fast die gesamte industrielle Infrastruktur Jugoslawiens, 600.000 Arbeitsplätze, die Existenzgrundlage von Millionen Menschen. Diese Wahrheit versuchten die Aggressoren zu verheimlichen. Nachdem z. B. das Krankenhaus von Sudurlica bombardiert worden war, behauptete NATO-Sprecher Jamie Shea, das Krankenhaus sei eine Kaserne gewesen. Gelogen.

Während NATO und Bundesregierung solche Lügen verbreiteten, versuchten sie zugleich zu verhindern, daß die andere Seite zu Wort kam. Um die Wahrheit über die Schäden und über die Opfer zu unterdrücken, zerbombte die NATO Redaktionsgebäude und Sendeanlagen des jugoslawischen Fernsehens. Viele Tausende meiner Kolleginnen und Kollegen in den jugoslawischen Medien verloren dadurch ihre Arbeitsplätze, allein in Belgrad wurden bei einem Angriff auf das Hauptgebäude des Fernsehens 16 Beschäftigte auf der Stelle getötet. Und als das jugoslawische Fernsehen dem europäischen Satellitenfernsehen immer noch Bilder lieferte, die geeignet waren, Propagandabehauptungen der NATO zu widerlegen, beschloß auf deutsche Initiative das europäische Satelliten-Konsortium, das Signal des jugoslawischen Fernsehens abzuschalten. Bei Regierenden in NATO-Ländern, namentlich in Deutschland, war die Furcht groß, die Völker könnten, wenn sie genau informiert würden, ihnen die Zustimmung zum Kriegführen entziehen.

"Seit gestern abend ist die Berichterstattung über die NATO-Angriffe eingeschränkt. Bilder von getöteten Zivilisten und verwüsteten Wohnhäusern", so meldete die ARD-Tagesschau am 27. Mai, "werden künftig nicht mehr zu sehen sein. Auf Druck der NATO-Länder wurden die Sendungen des serbischen Fernsehens über Satellit vom europäischen Satellitenkonsortium eingestellt."

Das "Kasseler Friedensforum" protestierte bei Bundesaußenminister Joseph Fischer. Die Antwort mit dem Absender "Auswärtiges Amt – Sonderstab Internationale Friedensbemühungen westlicher Balkan" und der Datumsangabe 24. August 1999 lautet: "Vielen Dank für Ihr o. g. Schreiben an Herrn Bundesminister Fischer, das gebeten wurde zu beantworten. – Ich teile Ihre Ansicht, daß die Gewährleistung objektiver Informationsmöglichkeiten eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt spielt. Die Einstellung der Übertragung des staatlichen jugoslawischen Senders RTS durch EUTELSAT steht dem jedoch nicht entgegen. Dieser Sender dient ausschließlich den Propagandazwecken der jugoslawischen Regierung, nicht aber objektiver Information. – Mit Blick auf die Informationsmöglichkeiten der serbischen Bevölkerung kann ich Ihnen Folgendes mitteilen: Im Ausland gibt es zahlreiche Initiativen, die serbische Bevölkerung informiert zu halten. Zu den wichtigsten Radioprogrammen auf Mittelwelle in serbischer und albanischer Sprache zählen das erweiterte Programm der Deutschen Welle, Voice of America, BBC, Radio Free Europe und Radio France International. Über die Satelliten Astra und Eutelsat stehen weitere Programme zur Verfügung. Seit dem 26. April 1999 hat auch Österreich auf Kurz- und Mittelwelle ein Sonderprogramm "Nachbarn in Not" eingerichtet, das täglich fünf Stunden lang Nachrichten in mehreren Sprachen Südosteuropas ausstrahlt. – Das Grundrecht auf Pressefreiheit wird weder von Deutschland noch von anderen europäischen Ländern verletzt. Vielmehr ist es die jugoslawische Regierung, die eine objektive Berichterstattung durch unabhängige Medien in ihrem Land nicht duldet. Die wenigen noch existierenden Sender und Zeitungen sind ständigen Repressionsmaßnahmen durch die Behörden, wie unbegründete Verbote, überhöhte Bußgelder und sogar die Bedrohung von Journalisten an Leib und Leben, ausgesetzt."

Man bedenke: Da spricht das Auswärtige Amt über die wenigen noch existierenden Sender in Jugoslawien, als bedauerte sie den Verlust der anderen und als läge die alleinige Schuld bei der jugoslawische Regierung – nachdem die NATO einen Sender nach dem anderen zerbombt hat. Da empört sich das AA über die Bedrohung von Journalisten an Leib und Leben – nachdem viele Journalistinnen und Journalisten durch NATO-Bomben zerfetzt worden sind (auch bei dem Raketenangriff auf die chinesische Botschaft in Belgrad). Da rühmt das AA Initiativen, die serbische (!) Bevölkerung informiert zu halten – und verweist auf Propagandasender der Staaten, die Jugoslawien überfallen haben. Und da rechtfertigt das AA die Unterbindung direkter Information aus Jugoslawien für die ausländische Öffentlichkeit mit dem propagandistischen Charakter dieser Information – eine Logik, nach der dann auch und gerade all die Medien hätten abgeschaltet werden müssen, die den Propagandazwecken der Bundesregierung und der Regierungen anderer NATO-Staaten gedient haben.

Die meisten Medien hierzulande – genauer gesagt: fast alle – haben die offiziellen Propagandalügen unkritisch weitergegeben und sich dadurch mitschuldig gemacht. Journalistinnen und Journalisten, die sich bei den täglichen Briefings in Brüssel durch die NATO-Sprecher Shea und Gertz und bei den Pressekonferenzen in Bonn, namentlich bei den Auftritten des Außen- und des Militärministers, devot verhielten und keine kritischen Nachfragen stellten, verrieten die öffentliche Aufgabe, die Freiheit und die Verantwortung der Medien – ebenso wie Redaktionen, die sich um Informationen von der anderen, der jugoslawischen Seite nicht bemühten, obwohl diese Informationen über Internet oder über jedes jugoslawische Konsulat, aber auch über viele in Deutschland lebende Jugoslawen, die ständig in Telefonkontakt mit ihren Angehörigen standen, leicht zu erhalten gewesen wären.

Der ARD-Korrespondent in Belgrad, Klaus Below, hielt sich während des NATO-Bombenkriegs in Jugoslawien auf. Er war in dieser Zeit kaum auf dem Bildschirm zu sehen, was gewiß nicht an ihm lag. Ich wünsche eine Erklärung der Intendanz, ob äußerer Druck (welcher?) oder vorauseilender Gehorsam oder was sonst bewirkt hat, daß der eigene Korrespondent zeitweilig kaltgestellt war. Freilich: Jedes Stück Realität, das er übermitteln konnte, hätte schwerlich ins Bild der herrschenden Propaganda gepaßt.

Die "Frankfurter Rundschau" erwähnte einmal in einem einzigen Satz, daß der Südwestrundfunk einen Redakteur mit Mikrofonverbot belegt hatte. Begründung: Er hatte von Angriffskrieg gesprochen – also die Wahrheit gesagt. Ich wünsche dazu eine Erklärung der Intendanz dieser öffentlich-rechtlichen Anstalt.

In einzelnen Hörfunksendungen (z. B. "Streitkräfte und Strategien" vom NDR und "Kritisches Tagebuch" vom WDR) kamen Stimmen zu Wort, die die Wahrheit sagten. Im Fernsehen bewährte sich das Magazin "Monitor" an zwei Abenden, an denen es u. a. über den Einsatz völkerrechtlich geächteter Waffen durch die NATO berichtete. Die dritte "Monitor"-Sendung, die während des Bombenkrieges fällig gewesen wäre, fiel aus. Dem Publikum wurde per Laufschrift mitgeteilt, sie falle wegen der "Brennpunkt"-Sendung aus, die an diesem Abend wie gewöhnlich vom Bayerischen Rundfunk ausgestrahlt wurde. In anderen Fällen verzögerten sich wegen des "Brennpunkts" die nachfolgenden Sendungen, fielen aber nicht aus.

Konformistisch vom ersten bis zum letzen Tag verhielten sich die typischen regionalen Monopolzeitungen in Deutschland – aus den Verlagen, die seit einigen Jahren nach und nach auch die Medien in den östlichen Nachbarländern und in Südosteuropa erobern. Der Deutsche Presserat (eine Alibi-Einrichtung der kommerziellen Printmedien, die den Redakteuren keine Mitbestimmungsrechte zugestehen) zeigte wieder einmal, daß er als Selbstkontrollorgan der Presse in wichtigen Fragen schmählich versagt. Ich habe diesem Gremium einige Jahre angehört und mich damals u. a. dafür eingesetzt, die "Publizistischen Grundsätze" des Deutschen Presserats (den sogenannten Pressekodex), die u. a. die Verletzung sittlicher und religiöser Gefühle ächten, dahingehend zu erweitern, daß im Sinne von Art. 26 GG auch Propaganda für den Angriffskrieg geächtet wäre. Vergeblich. Leider hat sogar die Industriegewerkschaft Medien, die sich meinen Vorschlag zu eigen gemacht hatte, ihn inzwischen fallen lassen, obwohl er leider immer größere Aktualität gewonnen hat.

Die Friedensbewegung wurde in den Medien fast durchweg als nichtexistent behandelt – z. B. in Hannover, wo ich zur Zeit wohne. Dort fanden jeden Samstag Demonstrationen in der Innenstadt und jeden Tag Mahnwachen gegen den Krieg statt, außerdem etliche Informations- und Diskussionsveranstaltungen. Doch die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" hielt es nicht für erforderlich, darüber zu berichten. Ebenso wurden auch anderswo die Aktivitäten gegen die NATO-Bombardements verschwiegen. Oder diffamiert.

So erging es schon frühzeitig auch namhaften Intellektuellen, die der Irreführung und Verhetzung der Öffentlichkeit widersprachen – nicht nur in Deutschland. Nachdem in Frankreich Präsident Jacques Chirac im Fernsehen beteuert hatte, dies sei kein Krieg gegen das serbische Volk, sondern gegen den Diktator Milosevic, der den Völkermord an den Kosovaren kaltblütig programmiert habe, antwortete Regis Debray: "Ich habe Grund zu der Befürchtung, Herr Präsident, daß jedes dieser Worte eine Täuschung ist." Politiker und konformistische Medien fielen über Debray her wie über den österreichischen Schriftsteller Peter Handke, der sich ebenfalls mit eigenen Augen in Jugoslawien umgesehen hatte. Ähnlich erging es dem deutschen Oppositionspolitiker Gregor Gysi, der sich nicht nur wie viele andere Politiker in mazedonischen Flüchtlingslagern mit Kosovo-Albanern unterhielt, sondern auch das Gespräch mit Milosevic suchte und deswegen von Bundeskanzler Schröder im Bundestag mit dem Begriff "Fünfte Kolonne" geschmäht wurde.

Eine Gruppe deutscher Gewerkschafter um den Schauspieler und Hamburger Vorsitzenden der IG Medien, Rolf Becker, beschloß, unter dem Motto "Dialog von unten statt Bomben von oben" jugoslawische Kollegen zu besuchen. Eine Pressekonferenz im Hamburger Literaturhaus, wo u. a. die Schriftsteller Walter und Inge Jens diese Initiative vorstellten und begrüßten, blieb in den Medien unerwähnt. Die Reisegruppe, zu der ich gehörte, übermittelte täglich Reiseberichte über die Kriegszerstörungen nach Deutschland, wo sie an viele Redaktionen verbreitet wurden. Sie erschienen im wesentlichen nur in den Berliner Blättern "Neues Deutschland" und "junge Welt". Eine Pressekonferenz im Hamburger Gewerkschaftshaus nach unserer Rückkehr war gut besucht, aber die Konzern- und Monopolzeitungen unterließen jeden Hinweis. Wochenlang animierten sie zu Sammlungen für Kosovo-Albaner. Unser Aufruf zu Spenden für die notleidende Bevölkerung in Kragujevac – wo das große Automobilwerk mit allen 37.000 Arbeitsplätzen, d. h. die Existenzgrundlage der ganzen Stadt durch NATO-Bomben vernichtet worden war – blieb unerwähnt, obwohl es gerade in Deutschland allen Anlaß gäbe, den Menschen in dieser Stadt zu helfen. Denn Kragujevac war im Zweiten Weltkrieg der Ort des größten Massakers, das deutsche Truppen auf dem ganzen Balkan anrichteten: 7.000 Zivilisten, darunter ganze Schulklassen mit ihren Lehrern, wurden dort an einem einzigen Vormittage erschossen. NATO-Bomben trafen auch die dortige Gedenkstätte, zerstörten das Dach des Museums, beschädigten eine Skulptur mit dem Titel "Der Faschismus ist überwunden"; erhalten blieb aber das Besucherbuch, in das sich im Lauf der Jahrzehnte kaum deutsche Politiker eingetragen hatten, wohl aber in den 80er Jahren Petra Kelly und Gerd Bastian, die damals angesichts der im Museum dokumentierten deutschen Verbrechen versprochen hatten, derartiges dürfe sich nicht wiederholen.

Das Verschweigen unserer und anderer Aktivitäten gegen den Krieg war konsequent, wenn der Krieg als alternativlos gelten sollte und wenn an den verlogenen Rechtfertigungen der Bombardements keine Zweifel aufkommen sollten.

Nach den Bombardements ist der Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien noch längst nicht beendet. Die NATO und namentlich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland führen ihn mit anderen Mitteln weiter – z. B. mit dem Embargo, das die Bevölkerung eines schwer zerbombten, zudem mit vielen hunderttausenden Flüchtlingen und Vertriebenen gefüllten Landes besonders hart trifft, aber auch mit der Propaganda, deren Lügenwörter die herrschende Meinung bestimmen. Da wird der NATO-Bombenkrieg gegen Jugoslawien auch nachträglich irreführend als Kosovo-Krieg bezeichnet. Da wird die mörderische Gewalt der UCK an Serben und Roma im Kosovo, wo die Bundeswehr und das Militär anderer NATO-Staaten die Hauptverantwortung übernommen haben, als Racheakte entschuldigt. Da werden jetzt in Jugoslawien einzelne Politiker, neue Medien und mit dem Jugoslawischen Gewerkschaftsbund konkurrierende Gewerkschaften mit Geldern aus NATO-Ländern hochgepäppelt, damit sie das traditionell blockfreie Land an die NATO heranführen, und ausgerechnet diese Politiker, Medien, Gewerkschaften werden als unabhängig bezeichnet.

Wie systematisch die Irreführung der Öffentlichkeit weitergeht, zeigen z. B. Antworten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen im Bundestag sowie das im Herbst 1999 erschienene Kriegsrechtfertigungsbuch, in dem Scharping schamlos fast alle seine damaligen Lügen wiederholt. So verletzt die Bundesregierung weiterhin ihre Informationspflichten gegenüber der Bevölkerung. Damit dürfen sich Demokraten nicht abfinden, wenn sie sich nicht selber aufgeben wollen. Mit solchen Entscheidungen wie der Abschaltung der Satelliten-Übertragung jugoslawischer Informationen über die verheerenden Folgen der NATO-Bombardements wurde tief in unser Grundrecht auf Information eingegriffen. Diese verfassungswidrige Zensur wie auch die Vermarktung der Medien müssen in dem geplanten Tribunal so thematisiert werden, daß die verantwortlichen Politiker und auch die Verantwortlichen in den Medien gezwungen werden, sich zu rechtfertigen. Damit das gelingt, müssen wir viele Helferinnen und Helfer gewinnen, viele Erfahrungen und Verbindungen, viel Kraft und Klugheit zusammenbringen. Und für eine gründliche Beweisaufnahme und Beweiswürdigung müssen wir auch ausreichend Zeit einplanen.