Projekt „NATO-Kriegsopfer klagen auf Schadenersatz“
 
Projektsfortschrittsbericht vom 12.12.03

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde und Unterstützer,

 

nachdem die Medien bereits in hinlänglicher Breite über das Ergebnis der 1. Instanz der Varvariner Zivilklage – Abweisung der Klage – berichteten, wollen wir nach Abreise der Klägerdelegation und unserer Rückkehr aus Bonn nun ausführlich über den Sachstand und die Perspektiven referieren.

 

Zu den Ereignissen des 10. Dezember 2003

 

a) Protokollarischer Auftakt

 

Der Gerichtstermin begann um 11.40 Uhr.

Nach Erscheinen des Gerichtes wurde dieses vom Vorsitzenden Richter vorgestellt:

     Herr Sonnenberger, Vorsitzender,

     Herr Geiger, Beisitzer,

     Frau Zlavnik, Beisitzer

 

Damit war das Gericht z. T. anders besetzt, als am 15.10.03.

 

Protokolliert wurden dann die für die Streitparteien anwesenden Vertreter.

 

Für die Klägerseite:

Frau Vesna Milenkovic, Klägerin,

Herr Zoran Milenkovic, Kläger,

Frau Verica Ciric, Klägerin,

Herr Slobodan Ivanovic, Kläger,

Frau RA Gül Pinar, Anwältin für 34 Kläger inklusive die 4 vorstehenden Kläger,

Herr RA Dr. Heinz-Jürgen Schneider, Anwalt für 34 Kläger inklusive die 4 vorstehenden Kläger

Ferner Herr RA Dost für eine Klägerin

 

Für die Seite der Beklagten:

Herr Prof. Dr. Redeker,

Herr Dann,

Frau v. Bornstett,

Herr Karpenstein

 

 

b) Urteilsverkündigung

 

Der Vorsitzende Richter verkündete: „Im Namen des Volkes – Die Klage ist abgewiesen.“

 

c) Rekapitulation der Positionen der Streitparteien

 

Richter Sonnenberger bemerkte, hiermit sei gewöhnlich ein Verkündungstermin im Zivilverfahren beendet. Jedoch solle hier wegen des ersichtlich großen Interesses der Öffentlichkeit abweichend von dem Gewöhnlichen durch das Gericht eine Kommentierung des Urteils gegeben werden.

 

Er stellte die Positionen der Streitparteien, ihren Vorträgen folgend, dar.

-          Die Beklagte berufe sich zur Legitimität ihres Handelns auf folgende Beschlüsse:
08.10.98 Beschluss des NATO-Rates zum Militäreinsatz,
12.10.98 Zustimmung des Deutschen Bundestages  zu dem NATO-Einsatz,
25.02.99 Zustimmung des Deutschen Bundestages zum Einsatz deutscher Kräfte.

 

-          Er führte aus: „Die Vertreibungen unter Milosevic hätten die NATO zum Eingreifen bewogen und führten zum Konflikt vom 24.03. bis 12.06.99.“

 

-          Sodann beschrieb der Vorsitzende Tathergang und Tatfolgen entsprechend der Darstellungen der Kläger.

 

-          Er stellte fest: „Unstrittig ist, dass deutsche Flugzeuge an diesem Angriff nicht beteiligt waren.“

 

-          Er sagte: „Die Kläger sehen Haftung der Beklagten aus deren Mitwirkung am Zustandekommen der (oben genannten) Beschlüsse erwachsen sowie aus deren Unterlassung des Geltendmachens eines Vetos bei Angriffen auf zivile Ziele.“

 

-          Auch führte er aus, dass die Kläger bisher von keiner Seite entschädigt wurden, von der NATO nicht, von keinem NATO-Staat und auch nicht vom eigenen Staat.

 

-          Jedoch merkte er an, dass Deutschland nach dem Konflikt bis heute bereits 200 Milliarden DM (Milliarden ist kein Hör- oder Schreibfehler – H.K.) an Wiederaufbauhilfe in oder an Serbien geleistet habe.

 

 

d) Rechtliche Würdigung des ergangenen Urteils durch den vorsitzenden Richter

 

-          Es handele sich bei dieser Klage um den ersten Versuch, Haftung der BRD für eigenverantwortliches Handeln zu erlangen.

 

-          Als neues Problem tue sich auf, ob der NATO-Einsatz rechtswidrig war. Jedoch meine der Bund, er habe nur Nothilfe zur Verteidigung der Albaner geleistet. Letztlich käme es hierauf aber nicht an. Das Gericht habe nicht geprüft, ob der NATO-Einsatz eine Aggression gewesen sei.

 

-          Zu prüfen war, ob Individuen eine Möglichkeit der Klage gegen Staaten haben. Das Ergebnis der Prüfung ist: „Einzelansprüche bestehen nicht.“

 

-          Einzelne Personen seien keine Völkerrechtssubjekte! Daher können sie Ansprüche nur über Staatshandeln realisieren.

 

-          In einer Entscheidung von 1996 habe das BVG entschieden: „Ansprüche des Einzelnen bestehen nur in und aus vertraglichen Schutzsystemen zwischen Staaten.“ Solche seien hier nicht gegeben, denn solche Verträge bestehen zwischen Deutschland und Jugoslawien nicht. Auch könne die Europäische Menschenrechtskonvention (EMK) nicht als Grundlage dienen, da Jugoslawien kein Unterzeicherstaat war oder ist. Deutschland als Unterzeichnerstaat müsse die dortigen Rechte aber nur innerhalb seines Hoheitsgebietes gewährleisten. So habe auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in dem Fall der Klage der RTS-Opfer entschieden.

 

-          Die Haager Abkommen von 1907 (Haager Landkriegsordnung) gelten zwar, aber sie eröffnen Ansprüche nur den Kriegsparteien. Gleiches gilt für die Genfer Konvention und ihr Zusatzprotokoll 1 von 1977. Die geschädigten Zivilisten seien jedoch nicht Kriegspartei.

 

-          Aus den Schutzgütern des Grundgesetzes können die Kläger keine Ansprüche herleiten, weil das GG nur im deutschen Hoheitsgebiet gelte.

 

-          Auch aus deutschem Staatshaftungsrecht des BGB erwachsen keine Ansprüche, weil in einem bewaffneten Konflikt dieses vom Krieg überlagert werde und somit nicht anwendbar sei. So habe letztens auch der BGH im Fall Distomo entschieden.

 

Zusammenfassend erklärte der Vorsitzende, dass weder deutsches noch internationales Recht eine Anspruchsgrundlage für die Kläger liefere. Eine Haftung Deutschlands sei somit nicht möglich.

Zumal, es hätte sich wieder gezeigt, dass Zivilgerichte generell keine Kriegsfolgen regeln können.

 

[ Ende des Berichts zum Geschehen in Bonn ]

 

 

Unsere Bewertung des Sachstandes

 

-          Das Ergebnis – Abweisung der Klage – ist enttäuschend. Besonders trifft es wohl viele der Varvariner, da ihr Glaube „Deutschland ist doch ein Rechtsstaat“ sie annehmen ließ, dass die Klage nur gewonnen werden könne.

 

-          Die Frage der „Gesamtschuldnerischen Haftung“ der NATO-Staaten wurde nicht geklärt.

 

-          Das Gericht hielt an Sichtweisen fest, wie sie von deutschen Gerichten in der Vergangenheit zur Abweisung von Ansprüchen der Opfer aus faschistischen, deutschen Verbrechen entwickelt wurden.

 

-          Unsere Erfolge sind bisher dennoch:
- Die deutsche Regierung wurde – ganz gegen ihren Willen – gezwungen, sich ihren Opfern gleichrangig zu stellen.
- Eine breite Öffentlichkeit hat erstmalig wenigstens eines der brutalen NATO-Verbrechen zur Kenntnis genommen.
- Die Klage ist zugelassen, Berufung und weiter Rechtsweg sind möglich.

 

 

Weiteres Vorgehen

 

Die 34 Kläger aus Varvarin, die der Projektrat und die Kanzlei Getzmann, Schaller, Pinar & Hoffmann vertreten, werden in Berufung gehen wollen. So die vorläufige Bekundung der in Bonn anwesenden vier Kläger. Zoran, Vesna, Verica und Slobodan werden in einer Klägerversammlung in Varvarin berichten. Wir zweifeln nicht, dass alle zusammen in Berufung gehen werden.

 

Berufung muß – ohne Begründung – innerhalb von 4 Wochen nach Zustellung des Urteils, hier zum OLG Köln, erfolgen. Für die Begründung werden unsere Anwälte dann sicher Fristverlängerung, sonst innerhalb von 2 Monaten nach Urteilszustellung, beantragen. Wesentlich wird es um die Fertigung hochkarätiger Gutachten zu den Rechtsfragen gehen, was Zeit erfordert.

 

Keine Entscheidung wurde zur Frage Gewährung Prozesskostenhilfe (PKH) für die Kläger mitgeteilt. Falls PKH nicht genehmigt würde, würden wir wieder erhebliche Mittel durch Spenden aufbringen müssen.

Aber ohne zu warten, wer es kann, sollte jetzt schon den Varvarinern finanziell helfen. Konto siehe unten.

 

 

 

 

Im Auftrag des Projektrates

Harald Kampffmeyer

 

 

 

 

Der Projektrat:                                                                                            Spendenkonto (geführt bei der VdJ e.V.):

Cornelia Kampffmeyer (030) 65 94 29 08                                                  Berliner Sparkasse - BLZ:  100 500 00

Harald Kampffmeyer    HKampffmeyer@aol.com                                      Konto:  33 52 20 14

Jan van de Loo            (040) 73 74 81 77,   Janbilja@t-online.de             

Gordana Milanovic       (030) 39 03 07 96,   gordana.m-k@t-online.de    

Gabriele Senft              (030) 51 01 86 4