Projekt „NATO-Kriegsopfer klagen auf Schadenersatz“

 

Projektfortschrittsbericht vom 24.10.06

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde und Unterstützer,

 

am 19.10.2006 wurde vor dem 3. Zivilsenat des BGH in Karlsruhe die mündliche Verhandlung, eingelegte Revision gegen das Urteil der Berufungsinstanz, OLG Köln, in der Zivilklage der Varvariner NATO-Opfer gegen die BRD unter Geschäftszeichen III ZR 190/05 durchgeführt.

 

Nachfolgend berichten wir über das Geschehen in dieser mündlichen Verhandlung am 19.10.06.

 

1. Gericht und Parteienvertretung

 

III. Zivilsenat  des BGH           :   Herr Schlick, Vorsitzender Richter am BGH,

                                                Herr Streck, Richter am BGH,

                                                Herr Dr. Kapsa, Richter am BGH,

                                                Herr Galke, Richter am BGH,

                                                Herr Dr. Herrmann, Richter am BGH

 

Anwesende Kläger                :    Herr Zoran Milenkovic,

                                                Frau Vesna Milenkovic,

                                                Frau Marina Jovanovic

 

Anwälte für 34 der Kläger       :    Herr RA Prof. Dr. Dr. Gross

Anwalt für eine Klägerin         :    Herr RA Prof. Dr. Kummer

Erschienen für die Beklagte    :    Frau Bornstett, Bundesverteidigungsministerium

Anwalt für Regierung              :    Herr RA Prof. Dr. Krämer

 

2. Ausführungen des Vorsitzenden Richters ( 1. Teil der Verhandlung)

 

Zunächst wurde die Entscheidung des 3. Senates mitgeteilt, der Klägerin Ristic (Vertreter Prof. Kummer) Wiedereinsetzung in den alten Stand zu gewähren. Ihre Prozessvertretung hatte nicht termingerecht die Begründung zum Revisionsantrag geliefert.

 

Der Vorsitzende fragte die Prozessvertreter ab, ob sie nun neue bzw. veränderte Anträge stellen wollen, oder, ob es bei den Anträgen aus den Schriftsätzen bleibe.

Alle Prozessvertreter erklärten, es bleibe bei den Anträgen lt. Schriftsätzen.

D.h. die Kläger beantragen:

„unter Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils nach den Schlussanträgen der Kläger in der Berufungsinstanz zu erkennen, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist,

hilfsweise, die Sache insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuweisen.“

 

D.h. die Beklagte beantragt:

     „Das angefochtene Urteil hält den Angriffen der Revision der Kläger zu 1 –10 und 12 – 27

[ Anmerkung H.K.: das sind alle Kläger von Prof. Gross vertreten] sowie der Klägerin zu 11

[ Anmerkung H.K.: das ist Klägerin Ristic von Prof. Kummer vertreten] stand.“

 

Der allein ausführende Vorsitzende Richter, Herr Schlik, resümierte sodann den bisherigen gerichtlichen Verlauf der Klagesache nach Aktenlage. Dieses Resümee wird hier thesenhaft berichtet.

 

Vorsitzender Richter Schlick:

-          Tatbestandsaufnahme wie von Klägern vorgetragen und im Urteil 1. Instanz ausgeführt.

-          Kläger fordern Schmerzensgeld wegen Tötungen und Verwundungen.

-          Kläger adressieren ihre Forderung an den deutschen Staat, vertreten von der Regierung.

-          Sie begründen diese Adressierung damit, dass a) Deutschland sein mögliches Veto gegen ihre Bombardierung unterlassen habe und b) Hilfe zum dem gegen sie gerichteten Angriff durch Einsatz seiner Tornado geleistet habe.

-          Die wesentlichen Punkte der Urteilsbegründungen der Gerichte 1. und 2. Instanz werden vorgetragen.

-          Dieser 3. Senat vertrete auch die Auffassung, dass allein das Völkerrecht, namentlich das I. Zusatzprotokoll (ZP 1) zur Genfer Konvention als Maßstab zur Bewertung der Tat zu dienen habe.

-          Das Berufungsgericht habe mit seinem Urteil letztlich die Frage der Völkerrechtswidrigkeit des Angriffes offen gelassen.

-          Allenfalls käme eine deutsche Haftung nur auf dem Wege der Feststellung eines rechtswidrigen Angriffes (lt. ZP 1), des Vorhandenseins eines nationalen Rechtsweges für Geltendmachung von Ansprüchen und letztlich einer Zurechnungsmöglichkeit der Tat zu deutschem Regierungshandeln (oder –unterlassen) in Frage.

-          Das OLG Köln sah das Rechtsverständnis, dass allgemein bis 1945 galt, im wesentlichen bis heute fortgelten.

-          Es stellt sich hinsichtlich Rechtsweg tatsächlich die Frage ob der § 839 BGB – der einzig denkbare Paragraf – auf Kriegsfolgeschäden Anwendung finden könne und ob er nicht vielleicht im Kriege, wie von der Beklagten vorgetragen, durch Kriegsrecht per Suspendierung oder per Überlagerung unwirksam werde.

-          Wenn der § 839 BGB jedoch den Rechtsweg beinhalten sollte, so wäre immer noch die Frage zu beantworten, ob hierfür ein Fall aktuell vorliegend ist.

 

 

3. Die Plädoyers der Prozeßparteien

 

3.1. Plädoyer des Klägervertreters (für 34) Prof. Dr.Dr. Gross

 

-          Letztmalig hat der BGH in ähnlicher Sache zum Fall Distomo aus 1944 geurteilt. Hierbei wurde nach dem damals geltendem Recht entschieden. Seit dem bis zur Tat von Varvarin, ca. 55 Jahre später, hat eine gewichtige Fortentwicklung des Völkerrechts stattgefunden (UN-Charta, Genfer Konvention, deren ZP 1 u. a.)

-          Es sei kaum vorstellbar, die Tat von Varvarin nicht im Lichte dieser Rechtsfortentwicklung zu bewerten.

-          Die Tatschilderung, hier nochmals durch Verlesung von Abschnitten der Urteilsbegründung der 1. Instanz durch den Vorsitzenden gegeben, zeige, dass Varvarin am 30.05.1999 geradezu ein Ort des Friedens war. Weit ab von jeder kriegerischen Handlung und auch völlig unberührt von militärischen Aktionen oder Bewegungen der jugoslawischen Seite.

-          In dieses Bild des Friedens schlug die NATO um 13.00 Uhr an diesem Sonntag hinein.

-          Dieses Umfeld der Tat muss gewertet werden. Eine simple technische Auffassung von Zielwahl und Angriffszeit und –methode werde der Tat nicht gerecht.

 

-          Hier treffen zwei Sichtweisen über völkerrechtliche Ansprüche aufeinander.

a) traditionell   : Nur Staaten sind Rechtssubjekte, nur sie können Inhaber von Ansprüchen sein.

b) modern       : Völkerrecht nimmt auch das Individuum in den Blick.

Das Völkerrecht kennt nun auch das Individuum. Es verleiht erstrangige, primäre Rechte – Schutzrechte – mit dem ZP 1 dem Individuum. Auch werden neuerdings Verstöße gegen das Völkerrecht nicht mehr nur den Staaten vorgehalten, sondern es wird aus dem Völkerrecht direkt auf das für den Staat handelnde Individuum durchgegriffen (Bestrafung und Haftung).Wenn aber völkerrechtliche Pflichtverletzungen das Individuum treffen, dann muß dass Individuum auch unmittelbarer Träger von Rechten aus dem Völkerrecht sein. Sonst liegt enormes Ungleichgewicht vor.  

Hier besteht die große Herausforderung für den erkennenden Senat.     Es gilt, auch mit dem anstehenden Urteil, mit dem Aufbau eines speziellen Sanktionssystems zu beginnen. Ein solches Sanktionssystem kann nicht auf den guten Willen des Schädigers angewiesen sein.

Es entsteht aus der Anerkennung des Individuums.

-          Zumal dürfte es ja nur zu verständlich sein, dass die Staaten, die die Taten begehen, eben keine Neigung haben ihren Opfern durch Abschluß internationaler Verträge oder durch Entschädigungsregelungen per nationalem Gesetzgebungsakt ein wirksames Mittel gegen sich selbst zu verschaffen.

-          Nach Lage der Dinge kommt hier nur die Setzung von Richterrecht in Frage, um Abhilfe zu schaffen.

 

-          Zum nationalen Recht. Die Frage also, ob denn Kriegsrecht allgemeines, bürgerliches Recht suspendiere.

-          Unter der Herrschaft des Grundgesetzes (GG) ist kein Raum für die Auffassung der Beklagten. Das GG enthält keinen Hinweis, keinen Vorbehalt für den Kriegsfall.

-          Recht müsse gerade dann gelten, wenn seine Anwendung am meisten gefordert ist.

-          Daraus folgt, dass immer dann, wenn eine Rechtsverletzung mit schädigenden Folgen vorliegt, nach § 839 zu entschädigen ist.

 

-          Zur Frage der Zurechnung der Tat zur Beklagten:

a)       Es ist keine Unterscheidung nötig, ob eine direkte oder indirekte Beteiligung der Beklagten vorliegt.

b)       Mittäterschaft aus mittelbarer Teilnahme (Aufklärungsflüge durch deutsche MCR-Tornado, Teilnahme an Zielauswahl, und Luftraumdeckung durch deutsche ECR-Tornado) reiche aus.

c)       Gesamtschuldnerische Haftung ist gegeben, wenn aus einer Reihe möglicher Täter der tatsächliche nicht zu bestimmen ist.

 

-          Zum Verschulden der Beklagten:

a)       Das OLG Köln nimmt in seiner Begründung einen Logikbruch vor. Es stellt zwar fest, dass die Beklagte an der Zielauswahl – auch Varvarin – beteiligt war, stellt das aber unter einem sehr weit gefassten politischen Ermessensspielraum, der nicht überschritten worden sei.

b)       Aber wo soll dieser Spielraum herkommen, wenn doch jede militärische Tat streng den Anforderungen des ZP 1 zu genügen habe? In der Tat gibt es für eine Angriffsentscheidung keinen politischen Ermessensspielraum, sondern nur strenge Regeln, die einzuhalten sind. Eine blinde Zielauswahl, auch ein die Folgen-besser-nicht-wissen-wollen ist lt. ZP 1 unzulässig.

c)       Das OLG hat fehl entschieden, indem es dem Absolution erteilte.

d)       Letztlich begründet das gesagte (b) das individuelle Verschulden der Beklagten.

 

3.2. Plädoyer des Klägervertreters (für eine) Prof. Dr.Kummer

 

-          Das Handeln der NATO steht krass den erklärten NATO-Ziele (Humanitäre Intervention) entgegen.

-          Subjektivität der Person ist im Völkerrecht anerkannt. Daraus folgt, dass die Person Inhaber von Schutzrechten (primär) und von Ersatzansprüchen (sekundär) ist.

-          Wenn jedoch die Schutzrechte als primäre anerkannt sind, dann muss auch der Sekundäranspruch anerkannt werden, sonst wären die primären Rechte nur Scheinrechte. Sie würden leer laufen, wenn dem Verstoß gegen primäre Rechte nicht die Sanktion folgt.

-          Zwar ist im Völkerrecht nicht ein primärer Haftungsanspruch für Individuen kodifiziert, jedoch ist ihr Ausschluss von solchen ebenfalls nicht kodifiziert. Alles ist nur bisherige (traditionelle) Auslegung. Schon gar nicht schließt das Völkerrecht etwaige parallele nationale Rechtswege für Entschädigung aus.

-          Das OLG Köln hat nicht explizit die Völkerrechtswidrigkeit des Angriffes festgestellt. Diese aber zumindest hinsichtlich Methode und Tatzeit unterstellt.

-          Hier liegt seitens der Beklagten eine Teilnehmerhaftung als Mittäter, mindestens jedoch als Gehilfin vor.

-          Scharf ist der von der Beklagten vertretenen These „Im Krieg ist Brücke immer legitimes Ziel“ zu widersprechen. Da von jugoslawischer Seite diese Brücke in keiner Weise militärisch genutzt wurde, konnte ihre Zerstörung dem Angreifer keinen militärischen und gerechtfertigten Vorteil bringen.

-          Vielleicht sei dem vom OLG Köln gesehenen weiten, politischen Spielraum – der zudem nicht justitiabel gestellt sein soll – in einigen Grundfragen zuzustimmen. Hier sei an die Entscheidung zur Führung eines Krieges selbst, oder an dessen strategische Ausführung – hier eben nur als Luftkrieg – zu denken. Aber jede einzelne Zielauswahl und Aktion muss rechtlicher Nachprüfung unterliegen. Andernfalls wäre das Schutzrechtssystem faktisch nicht existent.

-          Der Angriff auf Varvarin sei zudem als verbotener „Unterschiedsloser Angriff“ anzusehen. Angesichts der großen Menschenmenge am Tatort zur Tatzeit sei andere Einstufung nicht möglich.

-          Ist nun dieser Angriff der BRD zuzuschreiben? Die Frage ist zu bejahen. Als Mittäter, dann wenn sie um den Gesamtplan wusste und zur Tat beitrug. Oder als Gehilfe dann, wenn sie irgendwie etwas tat, was geeignet war, den Erfolg herbeizuführen. Für den Status des Gehilfen kommt es nicht im mindesten darauf an, dass der Haupttäter seinem Gehilfen in die Einzelheiten der geplanten Tat vorab einweihte. Einzelheiten muss der Gehilfe nicht kennen. Somit entfaltet das ständig von der Beklagten strapazierte NATO-Prinzip des „need to know“ für sie auch keinen Schutz.

 

3.3. Plädoyer des Beklagtenvertreters (für BRD) Prof. Dr. Krämer

 

-          Die Klägervertreter haben bisher – statt substantieller Rechtsdiskussion – sich nur auf Appelle an das Gericht zurückgezogen. Das Gericht solle sich doch zu neuer, nie da gewesener Auslegung des Rechts hinreißen lassen. Es bleibe, entgegen den Wünschen der Klägervertreter jedoch dabei, dass für Haftung aus Kriegsfolgen nur zwei Wege bestehen

a)       Zwischenstaatliche vertragliche Vereinbarungen, vor dem Konflikt in Kraft gesetzt, oder

b)       Innere Gesetzgebungsakte durch das Parlament für solche Fälle.

Hier mangelt es an beidem, womit kein Rechtsweg für die Kläger in Deutschland bereitgestellt ist. Eine etwaige Entscheidung des Gerichtes im Sinne der Kläger wäre somit völlig unzulässig.

-          Es besteht nicht nur eine politische, sondern auch eine militärstrategische Prorogative. Nicht nur hat die Regierung – wie zu Recht vom OLG Köln gesehen – einen weiten politischen, nicht justitiablen Ermessensspielraum, sondern gleiches gelte für die militärischen Entscheidungen der Regierung oder ihrer militärischen Entscheidungsträger. Es ist festzuhalten, dass somit auch jede militärische Zielauswahl nicht justitiabel ist.

-          Die Kläger hätten, wollten sie Aussicht auf Erfolg haben, beweisen müssen, dass der Angreifer mit Vorbedacht Zivilisten hätte treffen wollen. Von einem solchem Beweis fehlt jede Spur.

-          Dass Brücken im Krieg immer legitime Ziele sind, wurde erst unlängst eindrücklich vor Augen geführt. Israel hat im Libanonkrieg wohl alle Brücken des Landes aus der Luft angegriffen und zerstört. Israel rechtfertigte das mit der großen militärischen Bedeutung einer jeden Brücke. Denn die Hisbolla hätte ja bei Zerstörung nur einiger Brücken in der Nähe zum Kampfgebiet ihre Versorgung zu jeder Zeit über verbleibende Brücken umleiten können. Die Argumentation Israels blieb weitgehend unwidersprochen und wurde somit akzeptiert.

-          Weiterhin schützt das Prinzip des „need to know“ eben doch die Beklagte. In keinem Falle wusste sie, welchen Auftrag die Angriffsflugzeuge hatten, die sie mit ihren ECR-Tornados deckte.

-          Hinsichtlich der Rechtsanwendung ist zu konstatieren, dass die Haftungsartikel – sowohl Art. 3 der HLKO als auch Art. 91 des ZP 1 – kein anwendbares Recht sind. Sie sind nicht Bestandteil des Völkerrechts geworden, weil niemals geübt. Weil wegen der langen Zeit der Existenz der  Artikel niemals Anwendungsfälle auftraten, haben sie den Sprung in das Völkergewohnheitsrecht nicht geschafft.

-          Aus dem GG ist kein Anspruch herzuleiten, denn die Kläger stehen nicht unter dem Schutz des deutschen GG.

-          Eine zwischenstaatliche Vereinbarung als etwaige Anspruchsquelle existiert nicht.

-          Die Ansicht der Klagevertreter, hier sei ein „unterschiedsloser Angriff“ auf Zivilisten vorliegend, ist falsch. Denn nur die Brücke, die jeder Zeit hätte militärisch genutzt werden können, war alleiniges Ziel. Der zweite Angriff diente auch nur der Sicherstellung der Zerstörung der Brücke. Wegen Rauch hätten die Piloten nicht sicher abschätzen können, ob denn der Auftrag ausgeführt gewesen sei.

-          Dass der zweite Angriff den herbei eilenden Helfern gegolten hätte, ist absurd. Wegen der doch zu großen Entfernung des Marktes hätte kein Helfer in den 3 bis 5 Minuten die Brücke erreichen können.

-          In Summa: Alle Erwägungen zum Völker- und Verfassungsrecht führen nicht dazu, dass hier anerkennungsfähige Ansprüche vorliegen.

-          Die Prüfung des verbleibenden nationalen Rechtsweges führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn § 839 ist in seiner Anwendung auf den friedensmäßigen Normalzustand beschränkt. Nur dafür wurde er geschaffen – siehe Rechtshistorie. Jedenfalls ist es unzulässig, ihn auf Kriegsfolgeschäden anzuwenden.

-          Da die einzig befugte Institution – der Gesetzgeber – auch keine Gesetzgebungsakte zur Regulierung von Ansprüchen neuerer Kriegshandlungen erlassen hat, findet sich auch hier keine Rechtsquelle.

-          Letztlich ist der erkennende Senat gehalten, die vom OLG Köln in seinem Urteil gesehene Möglichkeit der Nutzung des § 839 zur Regulierung von Kriegsfolgeschäden, zu korrigieren.

 

 

 

4. Nachfragen des 3. Senats an die Parteivertreter

 

 

Frage, vom Vorsitzenden gestellt, an den Beklagtenvertreter, Prof. Krämer

 

Ob er den wirklich meine, dass das deutsche Recht unter keinen Umständen einen Rechtsweg für Ansprüche von Geschädigten offen halte? Auch dann nicht, wenn schwerwiegenste Verletzungen des Kriegsvölkerrechtes vorliegen sollten oder Exzesstaten Gegenstand sind?

 

Antwort Prof. Krämer:

Nein, für diese extremen Fälle müsse es einen Rechtsweg geben. Diese Fälle könnten aber nur die sein, wo Vorsatz bewiesen wäre. Aber auch hier müsse das Parlament erst handeln.

Eine richterliche Untersuchung des Rechtsweges sollte erst später, an einem „gegebenen Fall“ erfolgen. Nicht an diesem Fall, denn hier liegt keiner vor.

Das wird auch schlagend dadurch bewiesen, dass ja in 2000 Varvarin mit eine Reihe von NATO-Angriffen der Anklagebehörde des ICTY, der Frau Del Ponte, angezeigt wurde. In keinem Fall sah sich Frau Del Ponte gehalten, auch nur ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen, da überall der Anfangsverdacht fehlte. In der Antwort Frau Del Pontes auf die Anzeige ist Varvarin nicht erwähnt. Das Gericht sollte die Fest- oder eben Nichtfeststellungen der Behörde Frau Del Pontes entscheidend in seiner Urteilsfindung berücksichtigen.

 

Prof. Kummer erbat und erhielt das Wort zu seiner Erwiderung:

Kriegshandlungen seien justitiabel. Seit der HLKO. Siehe Nürnberg, Ruanda oder eben auch das ICTY. Nur müsse nun Zivilrecht langsam mal dem Strafrecht gleichziehen.

Das Gericht habe zu entscheiden, ob Mitwirkung in Aufnahme in eine Zielliste nicht hinreichend sei.

 

Zu diesem Zeitpunkt setzte sich RA Karpenstein, in den Vorinstanzen  Prozessvertreter der Regierung, unaufgefordert neben Prof. Krämer auf die Beklagtenbank. Prof. Krämer stellte Antrag, das Gericht solle Karpenstein anhören. Er hätte wichtiges auszuführen.

 

Für die Kläger intervenierte Prof. Gross. Sollte das Gericht Karpenstein Rederecht einräumen, so stelle er den Antrag, dass zur Wahrung der Balance die drei anwesenden Kläger auch durch das Gericht angehört werden sollen.

Krämer zog seinen Antrag zurück!

 

Prof. Gross erbat und erhielt das Wort zu seiner Erwiderung:

Das Gericht solle insbesondere den zweiten Angriff bewerten. Wenn denn die Ausführungen des Beklagtenvertreters stichhaltig sein sollen, möge er bitte erklären, welchen weiteren wirksamen militärischen Vorteil die NATO durch die Vernichtung des schon vernichteten erlangen wollte. Wenn denn aber die Ausführenden, für die der Auftraggeber haftet, halt wegen Rauch nicht erkennen konnten, dass die Brücke nach dem ersten Angriff im Wasser lag, konnten sie ihre Waffen eben doch nur blind, in den Rauch abschießen. Genau das aber ist nach ZP 1 völlig unzulässig und löst auch Haftung aus.

 

 

5. Nachbemerkungen des Verfassers

 

 

Der 3. Senat hatte 2 Stunden festgesetzt (10.00 bis 12.00 Uhr). Das reichte nicht. Die Verhandlungszeit wurde erheblich überschritten.

Morgens war ausgehangen, dass die Verkündung noch am selben Tag um 15.00 Uhr erfolgen solle.

D.h. die Richter kamen schon mit einer fertigen Auffassung in den Saal. Das kippte. Bei Schließung der Verhandlung erklärte der Vorsitzende, das Gericht habe nun weiteren Beratungsbedarf. Neuer Verkündungstermin werde demnächst bekannt gegeben.

 

Die erste halbe Stunde übersetzte unser PR-Mitglied Gordana Milanovic für Zoran und Marina leise simultan (Vesna versteht ja selbst bestens Deutsch). Dann führte der Beklagtenvertreter, Prof. Krämer, ersichtlich in höchstem Zorn Beschwerde zu den Richtern. Es sei ihm unmöglich so der Verhandlung zu folgen. Er könne sich nicht konzentrieren. Das Gericht möge diese Geräusche unterbinden.

Gordana erklärte sofort, Sie stelle die Übersetzung ein. Der Vorsitzende dankte ihr und bemerkte er wolle Ihr abschnittsweise eine Unterbrechung gewähren, um in Serbisch Resümees zu geben.

Zoran war nicht einverstanden und verließ demonstrativ den Saal.

 

Anwesend waren etwa 10 Unterstützer. Wir bedanken uns für ihr kommen.

 

Nach übereinstimmender Auffassung der 3 anwesenden Kläger und uns 2 PR-Mitgliedern (Gordana und ich), hat unser Vertreter Prof. Gross sehr gut und beeindruckend vor Gericht agiert.

Die Kläger dankten ihm unmittelbar nach Ende der Verhandlung in sehr bewegter Weise.

 

Prof. Gross gab uns auch ad hoc eine erste Einschätzung des Geschehens.

-          Auch wenn er für die Gewährung von Individualansprüchen aus dem Völkerrecht plädiert habe, sei doch nicht wahrscheinlich, dass das Gericht diesen mutigen Schritt gehen wird.

-          Es ist eher zu erwarten, dass der Rechtsweg über BGB § 839 durch den BGH bestätigt wird.

-          Der kritische Punkt wird aber in der Zurechnung der Tat zum Handeln (oder Unterlassen) der deutschen Regierung bestehen. Es ist nicht hoffnungslos, dass in Augen des Gerichtes Mitwirkung bei Zielauswahl und Unterstützungshandlung (Tornado-Einsatz) nicht reichen könnten.

 

Inzwischen teilte mir Prof. Gross den nun angesetzten Verkündungstermin mit.

 

Donnerstag, der 2. November 2006, Saal N 004, am Sitz des BGH.

 

Es ist nur mit dem dürren Spruch zu rechnen, keinesfalls mit einer mündlichen Begründung.

Daher loht es sich nicht, nach Karlsruhe zu reisen.

Der Projektrat wird vorsorglich schon jetzt mit Vorbereitungen für eine Verfassungsbeschwerde für den Fall der Niederlage beginnen.

 

Ich schließe diesen Bericht mit einem Zitat aus einem Brief von Professor Gross an den Unterzeicher vom 20.10.2006:

 

„Bei dieser Gelegenheit darf ich Ihnen versichern, dass mich die erschienenen Kläger und deren Schicksal sehr beeindruckt haben. Bitte geben Sie dies an die Kläger weiter und versichern Sie ihnen, dass ich aufgrund der bewegenden Schilderungen in den Akten versucht habe, mein bestes zu geben.“

 

 

 

 

Im Auftrag des Projektrates

Harald Kampffmeyer

 

 

 

 

Der Projektrat:                                                                                           

Cornelia Kampffmeyer (030) 65 94 29 08                                                 

Harald Kampffmeyer    HKampffmeyer@aol.com                                     

Jan van de Loo              (040) 73 74 84 81,   Janbilja@t-online.de             

Gordana Milanovic        (030) 39 03 07 96,   gordana.m-k@t-online.de    

 

Projekt „NATO-Kriegsopfer klagen auf Schadenersatz“